COP30, Schweizer Uhren ticken langsamer als die Geschwindigkeit des Klimawandels, trotz Gletschersterben und Rekordhitze.
14.11.2025
Schweiz: Klimawandel, Auswirkungen und Umsetzungshindernisse.
I. Die Realität und Geschwindigkeit des Klimawandels.
Die Beobachtungen zeigen eine konsistente und schnelle Veränderung des Planeten, wobei die globale Temperatur in den letzten 50 bis 60 Jahren massiv angestiegen ist:
- Globale Fieberkurve: 2023 war ein absoluter Temperaturrekord, der 2024 nochmals übertroffen wurde.
- Wärme in der Schweiz: In der Schweiz lagen die letzten Jahre alle in den Top-Rekordjahren. Die letzten paar Jahre waren alle rot gekennzeichnet.
- Gletschersterben: Die Schweizer Gletscher haben in nur zehn Jahren ein Viertel ihres Volumens oder ihrer Masse eingebüsst. Der Rhonegletscher von 1850 ist heute kaum noch sichtbar. Der Alleggletscher wird ohne Klimaschutz bis zum Ende des Jahrhunderts vom längsten und grössten Gletscher der Schweiz verschwunden sein.
- Schneemangel: Orte unterhalb von 1500 m haben Schneesicherheitsprobleme. Die natürliche Schneedecke in tiefen Lagen hat bereits um 40 % abgenommen.
- Lokale Extremereignisse: Der See im Jura ist 2018 zum ersten Mal und 2022 zum zweiten Mal ausgetrocknet.
II. Wissenschaftliche Ursachen und Gewissheit.
Die Klimaveränderungen sind auf den Menschen zurückzuführen; dies ist durch die Physik und Messungen über lange Zeiträume gut verstanden:
- Beweis aus dem Eis: Durch die Analyse von Lufteinschlüssen in antarktischen Eisbohrkernen kann das Klima über fast eine Million Jahre rekonstruiert werden. Die Konzentrationen der Treibhausgase CO2 und Methan sind absurd schnell und absurd hoch angestiegen.
- Menschliche Verantwortung: Der Mensch ist zu praktisch 100 % verantwortlich für die langfristigen Veränderungen (100 Jahre), die aktuell beobachtet werden.
- Physikalisches Verständnis: Bereits vor 1900 verstanden Physiker den Treibhauseffekt. Werden Massen-, Energieerhaltung und Thermodynamik in Computermodelle gesteckt, können diese Modelle die beobachteten Entwicklungen nachbilden.
III. Spezifische Auswirkungen auf die Schweiz (Die vier S-Szenarien).
Die neuen Klimaszenarien für die Schweiz werden unter den Titeln Heiß, Trocken, Nass und Grün (Schnee) zusammengefasst.

Heiß (Hitze).
Die Anzahl der Hitzetage (über 30°C) wird massiv zunehmen, insbesondere in Tieflagen. In der Stadt Zürich könnten Hitzetage von 16 auf 32 bis 58 pro Jahr steigen, verstärkt durch den Wärmeinseleffekt (Beton, Asphalt). Mehrere hundert Menschen sterben in einem heissen Sommer in der Schweiz an Hitze – eine unterschätzte Gefahr.
Trockenheit.
Im Jahresmittel gibt es nicht zwingend weniger Wasser, aber im Sommer tendenziell weniger Regen und gleichzeitig mehr Verdunstung, was den Boden schneller austrocknet. Die Frage, wem das Wasser gehört, wird sich verschärfen. Hohe Temperaturen führen zu mehr trockenem Material, wodurch sich Waldbrände schneller und weiter ausbreiten können.
Nass (Starkniederschläge).
Obwohl es im Sommer trockener wird, nehmen die stärksten Niederschläge zu. Dies ist physikalisch begründet, da warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und transportieren kann. Dies führt zu intensiven Gewittern, bei denen es "wie blöd" regnet. Diese Phänomene treten insbesondere bei ganz kurzen Ereignissen (Stunde oder kürzer) auf.
Grün (Gefahren).
Der Klimawandel beeinflusst Naturgefahren durch mindestens vier Faktoren: Tauen des Permafrostes, Schmelzen der Gletscher, Änderung und früheres Schmelzen der Schneedecke sowie Zunahme der Starkniederschläge. Gefahrenkarten müssen neu gezeichnet werden.
IV. Das Ziel und die Notwendigkeit der Emissionsentfernung.

Die Schweiz hat sich mit dem Klimaschutzgesetz und dem Übereinkommen von Paris zum Ziel Netto Null 2050 bekannt:
- Der Lösungspfad: Um die Pariser Ziele zu erreichen, müssen die globalen Emissionen bis 2030 halbiert werden und bis etwa 2050 fast auf null sinken.
- Schwer vermeidbare Emissionen: Emissionen aus Bereichen wie Fliegen, Zement, Landwirtschaft oder Narkosegas sind schwer zu vermeiden. Dort kommen sogenannte negative Emissionen (CO2-Entfernung) ins Spiel. Was noch emittiert wird, muss an einem anderen Ort wieder entfernt werden.
- Kosten und Infrastruktur: Es ist 80 bis 90 % günstiger, Emissionen gar nicht erst auszustoßen, da die Entfernung teuer ist. Bis Ende des Jahrhunderts wird eine Infrastruktur benötigt, die etwa so gross ist wie die heutige Öl- und Gasindustrie, um CO2 zu entfernen.
V. Technologische Lösungen und das Umsetzungsproblem.

Technologisch und finanziell sind die notwendigen Lösungen zur Reduktion der Emissionen (die heute zu 50 Milliarden Tonnen jährlich weltweit liegen) bereits vorhanden:
Emissionsquellen (Schweiz): Die Emissionen in der Schweiz stammen hauptsächlich aus Strassenverkehr (etwa ein Viertel), Luftfahrt (etwa 20 %, inkl. Kondensstreifen) und Gebäuden (etwa 15 %).
Technologische Antworten:
- Verkehr: Elektromobilität (Vermeidung von Hybrid- und schweren 3-Tonnen-Panzern). Viele Fahrten unter 5 km könnten per E-Velo erledigt werden.
- Fliegen: Weniger fliegen oder synthetische Treibstoffe.
- Gebäude: Wärmepumpen.
- Ernährung/Landwirtschaft: Weniger tierische Produkte.
- Abfall: CO2 wird abgeschieden und im Boden verpresst (bereits beschlossen).
- Importierte Emissionen: Der Fussabdruck der Schweiz ist zwei- bis dreimal so gross wie die national zugerechneten Emissionen, da Importe (Hosen, Computer, Telefone) den produzierenden Ländern zugerechnet werden. Langlebigere und reparierbare Produkte könnten diesen Fussabdruck verkleinern.
- Kernproblem: Es besteht kein Technologieproblem, kein Finanzierungsproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
VI. Gesellschaftliche und politische Widerstände.
Obwohl die Faktenlage klar ist, fällt der Übergang vom Wissen zum Handeln schwer. 
Dies liegt an der Komplexität des Themas und tief verwurzelten gesellschaftlichen Dynamiken:
- Fakten vs. Reaktion: Die Wissenschaft liefert Szenarien; die Reaktion darauf ist jedoch eine gesellschaftlich-politische Entscheidung. Fakten und Zahlen allein sind relativ wertlos, wenn ihnen kein Kontext und keine Bedeutung gegeben wird.
- Medien- und Komplexitätsproblem: Die Komplexität und Dringlichkeit wurden noch nicht überall verstanden. Medien fokussieren auf Klicks; die Verweildauer bei Beiträgen liegt bei 6–7 Sekunden. Fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung liest keine journalistischen Inhalte mehr, was die sinnvolle Auseinandersetzung erschwert.
- Lobbying und Desinformation: Die Fossilindustrie verstand den Treibhauseffekt bereits in den 60er Jahren, hat aber alles getan, um Veränderungen zu verhindern. Fake News und gezielte Angriffe auf Wissenschaft, Fakten und Institutionen nehmen zu.
- Kollision der Weltanschauungen: Die Uneinigkeit liegt fast immer in der Frage, was als Antwort auf die Fakten getan werden sollte, nicht bei den Fakten selbst. Dies ist eine Kollision von Weltanschauungen und eine Frage der Identitäten.
- Verzögerung als Verneinung: Die Haltung ist oft: Klimaschutz ja, aber "bitte nicht hier, nicht so, nicht jetzt, nicht ich, not in my Backyard und bitte gratis". Knutti bezeichnet dies als "Delay is New Denial" (Verzögerung ist die neue Verneinung).
VII. Der Optimismus der Möglichkeiten vs. die fossile Realität.
Es besteht ein tiefgreifender Widerspruch zwischen den verfügbaren Lösungen und der tatsächlichen globalen Umsetzung.

- Wirtschaftliche Erkenntnis: Der Global Risks Report des World Economic Forum zeigt, dass Umweltsorgen (Klima, Biodiversität, Wasser) zu den grössten langfristigen Problemen für die Wirtschaft zählen.
- Technologischer Optimismus: Die Entwicklungen bei Solar und Batterien sind absurd schnell und günstig. Solarenergie wächst schneller als jede andere Energietechnologie in der Vergangenheit.
- Fossile Dominanz: Trotz dieser Möglichkeiten ist die Welt immer noch zu etwa 80 % fossil. Der Anteil fossiler Brennstoffe am primären Energiekonsum sank von 87 % in den 90er Jahren nur auf 81 % heute.
- Gesellschaftlicher Rückzug: Seit 2022 hat sich das Interesse an Nachhaltigkeit halbiert. Unternehmen ziehen sich aus der öffentlichen Debatte zurück (sogenanntes Greenhushing), aus Angst vor Kritik, nicht perfekt zu sein. Die Diskussion des "Klimarealismus" läuft Gefahr, die eigentlich notwendigen Ziele zu verfehlen.
- Abschliessende Botschaft: Es ist langfristig günstiger, das Problem zu lösen, als abzuwarten und es später zu flicken. Die Menschen brauchen jedoch keine Zahlen, sondern eine Geschichte – etwas, das sie überzeugt, dass es der richtige Weg ist, und das sie dazu bringt, Teil der Veränderung zu sein. Moralpredigten helfen nicht; es müssen mehrheitsfähige Lösungen gefunden werden.
Disclaimer / Abgrenzung
Stromzeit.ch übernimmt keine Garantie und Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in diesem Bericht enthaltenen Texte, Massangaben und Aussagen.
Quelle November 2025:
Die Schweiz gegen die Klima-Uhr - Wie geht eine klimaneutrale Zukunft? - Reto Knutti
Besten Dank für den interessanten Vortrag:
©Reto Knutti
https://m.youtube.com/watch?v=a-KKCzc_zwI





